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Der Gänsekrieg

1704

Hoheneck-Am Neckar.jpg

"... in Frieden wandeln."

Das ist ein Radweg, nehmen Sie die Kinder auf die Seite“, brüllt der Radfahrer. 

„Der Weg ist genauso für Fußgänger, können Sie nicht ein wenig Rücksicht nehmen?“ ruft ihm der ältere Herr hinterher, der mit seinen Enkeln am Neckarufer entlangspazieren wollte.  

Seit der Weg am Neckarstrand an das Radwegenetz angeschlossen und entsprechend ausgebaut wurde, kommt es hier immer wieder zu Reiberreihen zwischen Radfahrern und Fußgängern. 

Dabei war der Weg am Neckarufer ursprünglich Bestandteil einer „friedenschaffenden Maßnahme“. Er war Teil der Vereinbarung die den sogenannten „Gänsekrieg“ zwischen Hoheneck und Neckarweihingen beenden sollte. 

Wir schreiben das Jahr Jahre 1704. Der heute so friedlich dahinfließende Neckar ist noch nicht kanalisiert und Schleusen gibt es auch noch keine. 

Jahr für Jahr zeigt er seine wilde und stürmische Seite, der er seinen Namen „Neckar“ verdankt, der von  „wilder, stürmischer  Geselle“ abgeleitet ist.  

Jahr für Jahr gibt es schlimme Hochwasser, die am Neckarweihinger Ufer Kies und Sand weg- und auf der Hohenecker Seite anschwemmen.  

Mit der Zeit bildet sich in Hoheneck eine Kiesbank, die über die Jahre zu einer Wiesenfläche verwächst. 

Die Neckarweihinger sind nun der Meinung, dass sie das Recht hätten dieses Wiesenstück auf der Hohenecker Seite als Weidefläche mitnutzen zu dürfen. 

So lassen einige Weyhinger ihre Gänse über den Neckar nach Hoheneck fliegen, um dort zu weiden.  

Was dann geschah wird sich wohl in etwa wie folgt abgespielt haben. 

„Baba! I han wella onsre Gänsla of Neckorwies trieba, aber do hots gar koin Blatz. Do isch älles voller Gäns von de Weyinger. I han se wella fordschaicha, abr no hen se me zwickt!“ 

Der Vater ist außer sich. Obwohl die Hohenecker und die Weyinger sich von alters her verpflichtet  haben sich gegenseitig beizustehen, in Gefahr, Brand und Krieg, kommt es immer wieder zu Streitigkeiten.  

Der Vater brüllt etwas wie „… was glaubet dia aigendlich, wer se sen, dia Weyenger Herrschafda ..“ und läuft in den Schuppen, neben dem kleinen Fachwerkhaus. Er nimmt einen Knüppel und einen Sack und marschiert wutentbrannt Richtung Neckarwiesen. Andere Hohenecker hören unterwegs von davon und folgen ihm.  

Auf der Wiese angekommen schlagen die wutentbrannten Hohenecker auf die Gänse ein und lassen die toten Tiere am Neckarufer liegen. Einige steckt der Vater und einige der Männer lebendig in ihre Säcke. Der Vater hebt den Sack in die Höhe. „Dia em Sack send pfändet, dofier dass se onser Gras gfressa hend.“  

Er wirft sich den Sack über die Schulter und geht Richtung Hoheneck weg. Nach einigen Schritten dreht er sich nochmals um. Er ruft zu den Weyhingern, die sich, durch das Gezeter der Gänse angelockt, am anderen Neckarufer eingefunden haben und deutet dabei auf die toten Tiere im Gras: 

„Diea andre do, kennat er eich wieder hohla. Dia send ferdig mit fressa ond kennat nemme fliaga!“  

Wüste Beschimpfungen der Weyinger und Hohngelächter der Hohenecker sind die Folge.  

Einige Tage später am Buß- und Bettag, der damals an jedem Dienstag begangen wurde, schleicht sich während des Gottesdienstes, eine Frau aus Weyingen mit ihren beiden Töchtern in das Haus des Büttels nach Hoheneck, um dort einige der gepfändeten Gänse hinwegzunehmen. Die Sache wird jedoch bekannt und der Hohenecker Kirchenkonvent verurteilt die Frau zu einer Zahlung von 15 Kreuzern in den Armenkasten. 

Die Situation eskaliert als während der Weyhinger Kirchweih zwei Weyhinger nach Hoheneck kommen und gepfändete Gänse mit Gewalt wegführen. Einige Hohenecker Buben werden bei dieser Aktion von den Männern verprügelt.  

Die Weyhinger geben keine Ruhe und fahren mit ihren Wagen und Karren über das neue Wiesenstück, die sogenannten Neuen Gärten, statt den bestehenden alten Weg entlang des Hungerbergwaldes zu nutzen. 

Die Hohenecker werfen den Weyingern vor, dass sie die Hohenecker als kleines, armes und verachtetes Häufle von Sklaven einfach nur traktieren und ärgern wollen. 

Die Streitigkeiten bleiben im Umland natürlich nicht unbemerkt. So kommt es, dass der Marbacher Vogt, der für die beiden Gemeinden zuständig ist, beauftragt wird den Streit zu schlichten. 

Nach langem Hin und Her gelingt ein Vergleich. Die streitbaren Parteien einigen sich auf eine Lösung des Problems. Möglich wird dies durch eine neutrale Person, in unserem Fall dem Vogt, der sich unvoreingenommen alle Meinungen anhört und dann Lösungsansätze unterbreitet. 

Die Einigung wird aufgeschrieben und in den Ortschaften verlesen. 

Die Weyhinger verpflichten sich darin nicht mehr über die Wiese der Neuen Gärten zu fahren, sondern den alten Weg zu benutzen. 

Die Hohenecker hingegen errichten oberhalb und unterhalb des „Fahr“, der Fähranlegestelle einen Hag, eine Hecke, um die einfliegenden Gänse abzuhalten. Außerdem halten die Hohenecker oberhalb des Fahr einen Platz frei, damit dort geritten, gefahren und umgewendet werden kann. 

Der Hag wird entlang des Neckarufers zwischen Kiesbett und der Grünfläche angelegt.

Auf dem Kiesbett wird von den Hoheneckern ein Fußweg gebaut.

Auf diesem dürfen die Weyinger nun bis zum heutigen Tage nach Belieben, in Frieden wandeln … 

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Der Gänsekrieg ist heute längst vorbei.

Doch wie ist das mit dem „In Frieden wandeln“?  
Ohne gegenseitigen Respekt und Rücksichtnahme wird kein Frieden Bestand haben.

Weder hier auf unserem Rad- und Gehweg noch irgendwo sonst in der Welt … 

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Bildquellen:

"Chronik von Hoheneck"

+ Private Aufnahme

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Text: (C) Klaus Bendel 2023

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